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Gregorianik


Beginnen wir mit einer Rückblende in das Jahr 800 und wagen wir einen Blick in die Peterskirche zu Rom, wo gerade der Weihnachtsgottesdienst gefeiert wird. Ein hoher Gast nimmt daran teil: Karl der Große, der König der Franken. Er war zur Schlichtung eines Streites in die Ewige Stadt gekommen und wollte nun hier die Festtage verbringen. Andächtig, so berichtet ein Hofschreiber, kniet er vor dem Altar, als ihm Papst Leo III. völlig unerwartet von hinten die römische Kaiserkrone auf den Kopf setzt. Dann wirft der Papst sich auf die Knie und salbt dem neuen Kaiser die Füße. Die Geistlichen stimmen die Krönungslitanei an und die anwesenden römischen Bürger reagieren auf dieses Schauspiel mit heftigem Applaus. Das Heilige Römische Reich Deutscher Nation war geboren.

Karls Machtbereich erstreckte sich über weite Teile Europas. Das Kerngebiet seines Riesenreichs umfasste die Länder, die rund 1150 Jahre später die Europäische Wirtschaftsgemeinschaft gründen sollten: Italien, Frankreich, Deutschland und die Benelux-Staaten.

Es beginnt die „karolingische Renaissance“. Sie ist von überragender Bedeutung, denn durch sie wird das Frankenreich zum Bindeglied zwischen der Antike und dem mittelalterlichen Europa nördlich der Alpen. Alle kulturellen Bemühungen werden fortan maßgeblich beeinflusst von den Gedanken antiker Gelehrter, von der römischen Architektur der vorchristlichen Zeit und von den religiösen Vorstellungen aus Rom und Konstantinopel. Alles, was die moderne Welt von heute über die Antike weiß, war als kulturelles Erbe durch die „karolingische Renaissance“ vor dem endgültigen Verlust gerettet worden, und die lateinische Sprache ermöglichte nun das Eintauchen in dieses Kulturgut.

Karl sah sich auch als Stellvertreter Gottes. Sein ganzes Bestreben galt der Einheit von Staat und Kirche. Eine einheitliche Liturgie mit einem einheitlichen Gesang sollte es geben, und dieser sollte natürlich in Rom seine Wurzeln haben. Träger dieser neuen Gesangskultur waren die Bischofssitze und großen Abteien. Alle Kleriker sollten den liturgischen Gesang ordnungsgemäß beherrschen.

Auch Kirche und Schule bildeten eine Einheit. Im Mittelpunkt des Schullebens stand der Gottesdienst, und der Tagesablauf der Kinder war durch Gottesdienste und Gebetszeiten gegliedert. Die Hauptaufgabe hieß, für Gott zu leben und Gott in Gesängen zu loben. Um das umfangreiche und gesangstechnisch sehr schwierige Repertoire in lateinischer Sprache zu erlernen, war eine langwierige Gesangsausbildung nötig.


Gregor I. beim Diktieren der Gregorianischen
Gesänge (aus dem Antiphonar des Hartker
von St. Gallen, um 1000).
Die Taube auf der Schulter ist die Quelle der
In“spiration“, der Heilige Geist, der die
Botschaft an das Ohr weitergibt.

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